Möglichkeiten der Vornamens- und Personenstandsänderung
1. Über das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG)
Das TSG wurde 1980 verabschiedet und geht von einem pathologisierenden und rein binären Verständnis von Transgeschlechtlichkeit aus, d.h. Transgeschlechtlichkeit wird als psychische Krankheit verstanden. Obwohl dieses Verständnis nicht mehr dem Stand der Wissenschaft und internationalen Standards entspricht, wurde das Gesetz noch immer nicht umfassend reformiert.
Vorgehen
Es wird ein formloser Antrag mit den gewünschten neuen Vornamen und Geschlechtseintrag beim zuständigen Amtsgericht gestellt. Es ist auch möglich, nur die Änderung der Vornamen oder des Geschlechtseintrag zu beantragen. In Berlin ist das das Amtsgericht Schöneberg. Im Antrag können bereits zwei Vorschläge für Gutachter_innen gemacht werden. Personen, die in Berlin als Gutachter_innen für TSG-Verfahren akzeptiert werden, sind bisher meistens Psycholog_innen oder Psychiater_innen. Wenn das Gericht den Antrag erhalten hat, erfolgt eine Einladung zu einem Gespräch mit der zuständigen Richter_in. Nach dem Gespräch gibt das Gericht die Gutachten in Auftrag. In der Regel übernimmt es dabei die Vorschläge der antragstellenden Person. Die Gutachter_innen wenden sich mit einem Terminvorschlag an die antragstellende Person. Wie viele Gespräche ein_e Gutachter_in braucht, um ein Gutachten erstellen zu können, hängt von der Gutachter_in ab. Meistens sind zwischen einer und drei Sitzungen ausreichend. In den Gutachten sollen folgende Fragen beantwortet werden:
- Fühlt die antragstellende Person sich dem im Antrag angegebenen Geschlecht zugehörig?
- Besteht dieses Zugehörigkeitsempfinden seit mindestens drei Jahren?
- Wird sich dieses Empfinden voraussichtlich nicht mehr ändern?
Wenn diese drei Fragen von beiden Gutachter_innen positiv beantwortet werden, beschließt das Gericht die Vornamens- und Personenstandsänderung. Die antragstellende Person bekommt einen vorläufigen Bescheid mit dem Beschluss, der erst rechtskräftig wird, wenn sie nicht innerhalb von vier Wochen Widerspruch einlegt. Es ist auch möglich, schriftlich auf die Widerspruchsfrist zu verzichten, dann wird der endgültige Beschluss etwas früher zugesandt. Mit dem Gerichtsbeschluss können nun eine neue Geburtsurkunde und ein neuer Personalausweis/Reisepass beantragt und andere offizielle Dokumente geändert werden. Das TSG enthält ein sogenanntes Offenbarungsverbot, das besagt, dass der alte Name und Personenstand einer Person, die ein Verfahren nach dem TSG durchlaufen hat, nicht ohne besonderes öffentliches oder rechtliches Interesse offenbart oder ausgeforscht werden dürfen. Diese rechtliche Regelung führt dazu, dass die Neuausstellung von Zeugnissen und anderen Dokumenten mit dem Gerichtsbeschluss des und dem neuen Ausweisdokument meistens relativ problemlos funktionieren sollte.
Kosten
Ein Verfahren nach dem TSG kann je nach Bundesland mehrere Tausend Euro kosten. Diese Summe setzt sich zusammen aus den Kosten für die Gutachten und den Kosten für das Gerichtsverfahren selbst (in Berlin derzeit ca. 150 Euro). Wieviel die Gutachter_innen berechnen, ist recht unterschiedlich (ab 400 Euro aufwärts pro Gutachten).
Für das TSG-Verfahren kann bei geringem Einkommen und Vermögen Prozesskostenhilfe beantragt werden. Es empfiehlt sich, sich vor der Antragstellung zu informieren, ob eine Aussicht auf Erfolg besteht und falls ja, den Antrag auf Prozesskostenhilfe zusammen mit dem Antrag auf Vornamens- und Personenstandsänderung zu stellen. Wenn Prozesskostenhilfe bewilligt wird, übernimmt das Gericht die Kosten für die Gutachten und das Gerichtsverfahren. Die antragstellende Person ist jedoch verpflichtet, dem Gericht mitzuteilen, wenn sich das Einkommen innerhalb von vier Jahren nach dem Abschluss des Verfahrens verbessert. Dann müssen eventuell die Kosten für das Verfahren zurückgezahlt werden. In der Regel fragt das Gericht auch nach zwei oder drei Jahren nochmal schriftlich nach, wie die Einkommenssituation sich entwickelt hat.
Wenn vor dem Verfahren bereits klar ist, dass die antragstellende Person nicht prozesskostenhilfeberechtigt ist, ist es empfehlenswert, schon im Vorhinein mindestens ein Gutachten erstellen zu lassen und zum Gerichtstermin mitzubringen. Die Gutachter_innen berechnen für ein vom Gericht in Auftrag gegebenes Gutachten in der Regel mehr als für ein privat erstelltes. Wichtig ist bei Vorabgutachten, sich zu informieren, ob der_die gewählte Gutachter_in auch vom zuständigen Amtsgericht anerkannt werden.
Dauer
Das Verfahren dauert von der Antragstellung bis zum endgültigen Gerichtsbeschluss erfahrungsgemäß zwischen sechs und neun Monaten.
Minderjährige
Seit einem Gerichtsbeschluss des Oberlandesgerichts Brandenburg von 2017 ist eine Genehmigung des TSG-Verfahrens bei Minderjährigen nicht mehr notwendig (Link siehe unten). Für Personen muss das Verfahren aber weiterhin von einer erziehungsberechtigten Person geführt werden. Gibt es zwei erziehungsberechtige Personen, müssen beide dem Verfahren durch ihre Unterschrift auf dem Antrag zustimmen.
Personenstand „divers“ und Streichung des Personenstands über das TSG?
Ausgehend vom Gesetzestext war bisher über das TSG nur eine Änderung des Personenstands von männlich zu weiblich oder umgekehrt möglich. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.04.2020 verweist jedoch auch nicht-binäre Menschen zur Änderung ihres Personenstandes auf divers oder zur Streichung des Personenstands auf das TSG. Das Verfahren muss dazu wie oben beschrieben durchlaufen werden.
2. Über § 45b Personenstandsgesetz
Seit Ende 2018 besteht die Möglichkeit, Vornamen und Personenstand über das Personenstandsgesetz zu ändern. Über das Personenstandsgesetz kann der Geschlechtseintrag auf männlich, weiblich oder divers geändert oder komplett gestrichen werden. Auch über diesen Weg kann nur der Geschlechtseintrag oder nur die Vornamen geändert werden. Hierzu ist ein Attest über eine sogenannte „Variante der Geschlechtsentwicklung“ von eine_r Ärzt_in notwendig. Mit diesem Attest kann bei einem beliebigen Standesamt eine Erklärung über die neuen gewünschten Vornamen und den gewünschten Personenstand abgegeben werden. Wenn es sich hier nicht um das Standesamt handelt, wo das Geburtenregister der antragstellenden Person liegt, muss das Standesamt, an dem die Erklärung abgegeben wird, diese weiterleiten. Das Geburtsstandesamt stellt dann eine neue Geburtsurkunde aus und leitet manchmal auch die Änderungen direkt an das zuständige Bürgeramt weiter, wo ein neuer Ausweis und Reisepass beantragt werden kann. Mit der neuen Geburtsurkunde und dem Ausweis können dann andere offizielle Dokumente geändert werden. Oft verlangen andere offizielle Stellen eine Bescheinigung über die vom Standesamt vorgenommenen Änderungen, diese wird aber leider nicht von allen Standesämtern ausgestellt. In diesem Fall hilft nur, den einzelnen Stellen den Sachverhalt zu erklären und deutlich zu machen, dass eine Änderung der Angaben auch ohne Änderungsbescheinigung rechtskräftig ist.
Wenn eine Person kein Attest über eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorlegen kann/will, kann stattdessen auch eine eidesstattliche Erklärung abgegeben werden. In dieser muss versichert werden, dass „das Vorliegen der Variante der Geschlechtsentwicklung wegen der Behandlung nicht mehr oder nur durch eine unzumutbare Untersuchung nachgewiesen werden kann“.
Für Änderungen nach dem Personenstandsgesetz fällt nur die Gebühr für den Termin beim Standesamt an (ca. 15 Euro je nach Ort) sowie die Gebühren zur Neuausstellung der Geburtsurkunde, des Ausweises und anderer Dokumente wie z.B. Führerschein. Außerdem dauern Änderungen über das Personenstandsgesetz deutlich weniger lang als über das TSG.
Jedoch ist rechtlich und politisch umstritten, welche Personengruppen das Personenstandsgesetz nutzen dürfen. Das oben bereits genannte Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem April 2020 argumentiert, dass trans* und nicht-binäre Personen ausschließlich das TSG für Änderungen nutzen sollen. Ein weiteres Urteil des BGH aus dem Juni 2020 bekräftigt diese Sichtweise und fordert darüber hinaus Standesbeamt_innen auf, eigene Ermittlungen anzustellen, wenn ihnen die ärztliche Bescheinigung nicht ausreichend zu belegen scheint, dass die antragstellende Person zur Personengruppe gehört, für die das Gesetz vorgesehen ist. Das sind nach der Gesetzesbegründung nur Personen, die eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ nach der Definition der Chicago Konsensuskonferenz 2005 vorliegt (genitale, gonadale oder chromosomale Abweichungen).
Es wird jedoch auch argumentiert, dass auch Transgeschlechtlichkeit als Variante der Geschlechtsentwicklung bezeichnet werden kann, siehe z.B. Rechtseinschätzung des LSVD zu § 45b PStG sowie das Gutachten von Mangold, Markwald und Röhner (Links am Ende des Textes).
Viele Standesämter lehnen leider inzwischen die Anträge von trans* und nichtbinären Menschen ab oder versehen das Prozedere mit Hürden.
Das Gegen das BGH-Urteil vom April wurde Berufung vor dem Verfassungsgericht eingelegt.
Offenbarungsverbot
Im Gegensatz zu TSG enthält das Personenstandsgesetz kein sogenanntes Offenbarungsverbot. Während im TSG festgelegt ist, dass der alte Name und Personenstand einer Person, die ein Verfahren nach dem TSG durchlaufen hat, nicht ohne besonderes öffentliches oder rechtliches Interesse offenbart oder ausgeforscht werden dürfen, besteht dieser Schutz nach einer Änderung über das Personenstandsgesetz nicht. Es kann deshalb sinnvoll sein, eine Auskunftssperre beim Bürgeramt zu beantragen. Änderungen von Zeugnissen und anderen offiziellen Dokumenten können sich schwieriger gestalten als nach einem TSG-Verfahren, weil der Anspruch darauf nicht rechtlich festgelegt ist.
Minderjährige
Auch Personen, die noch nicht volljährig sind, können Vornamen und Personenstand über das Personenstandsgesetz ändern. Bei unter 14-Jährigen muss eine erziehungsberechtigte Person die Erklärung für die betroffene Person abgeben. Jugendliche über 14 müssen die Erklärung selbst abgeben, jedoch muss eine erziehungsberechtigte Person zustimmen.
3. Personenstandsänderung ohne deutsche Staatsangehörigkeit
Sowohl ein Verfahren nach dem TSG als auch für Änderungen nach dem Personenstandsgesetz setzt voraus, dass die antragstellende Person entweder eine deutsche Staatsangehörigkeit hat oder in Deutschland asylberechtigt ist. Personen, die die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates besitzen und in Deutschland aufenthaltsberechtigt sind, müssen für eine Vornamens- und Personenstandsänderung sowohl über das TSG als auch über das Personenstandsgesetz nachweisen, dass in ihrem Herkunftsland keine vergleichbare Regelung existiert. Wenn das möglich ist, können die Änderung wie oben beschrieben beantragt werden. Sie gelten dann jedoch nur für deutsche Dokumente und nicht für Ausweisdokumente des Herkunftslandes.
Links zum TSG
Gesetzestext TSG:
https://www.gesetze-im-internet.de/tsg/__1.html
Formular für den Antrag auf Prozesskostenhilfe Berlin:
https://www.berlin.de/gerichte/was-moechten-sie-erledigen/artikel.418028.php
Urteil des OLG Brandenburg zur familiengerichtlichen Genehmigung von TSG-Verfahren bei Minderjährigen:
https://openjur.de/u/2255116.html
Links zum Personenstandsgesetz
Gesetzestext § 45b Personenstandsgesetz:
https://www.gesetze-im-internet.de/pstg/__45b.html
Urteil des Bundesgerichtshofs vom April 2020:
Urteil des Bundesgerichtshofs vom Juni 2020:
https://datenbank.nwb.de/Dokument/Anzeigen/831355/
Rechtseinschätzung des LSVD zu § 45b PStG und dem Begriff „Variante der Geschlechtsentwicklung“:
https://www.lsvd.de/de/ct/1361-Der-Geschlechtseintrag-im-Personenstandsrecht
Gutachten zum Verständnis „Variante der Geschlechtsentwicklung“ von Mangold, Markwald, Röhner:
https://eufbox.uni-flensburg.de/index.php/s/WwkHJkHaEaHpkQk#pdfviewer
Informationen zur Verfassungsbeschwerde gegen das BGH-Urteil
https://freiheitsrechte.org/pe-dritte-option/
Stand: April 2021