Offener Leser*innenbrief an die Berliner Zeitung zur Kolumne v. Götz Aly, 2.2.2021, „Grün-gelbe Dekadenz in Corona-Zeiten“
Eilmeldung: Götz Aly ist trans*! … Na und?
In einer Kolumne in der Berliner Zeitung vom 2.2.2021 echauffiert sich Götz Aly über grün-gelbe Gesetzesentwürfe, nach denen „wir alle beim Standesamt vorsprechen und Geschlecht und Namen ändern lassen“ könnten – und das sogar beliebig oft und ohne operative Eingriffe. Ist ja spannend: „wir alle“? Sie, Frau „Gottfreda Maria Aly“, sind also auch trans*? Wunderbar, dann willkommen in unserer Gemeinschaft, die, im Gegensatz zur Mehrheitsgesellschaft, keine Person auszuschließen, ihrer Selbstbestimmung zu berauben oder in den individuellen Freiheitsrechten einzuschränken versucht. Auch keine rechtspopulistisch argumentierenden Kolumnist*innen wie Sie, Frau Aly, die in Eckhartscher Manier mit zweifelhaftem Unterhaltungswert scheinbar große Genugtuung daraus ziehen, Minderheiten zu verhöhnen und Fakten zu verzerren.
Sie scheinen wirklich in einer „alternativen“ Realität zu leben, Frau Aly, wenn Sie tatsächlich das (übrigens gähnend langweilige) Topos des „transsexuellen Betrugs“ als Zerrbild heraufbeschwören, nach dem Motto: Mann geht zum Standesamt, ändert seinen Personenstand in Frau, nur damit er (also dann sie) in eine Frauensauna gehen kann. Als Journalist*in können Sie sicher recherchieren (wollen wir hoffen). Sagen Sie mal ehrlich, Frau Aly: wie viele Zeitungsartikel sind Ihnen über solche Situationen schon über den Weg gelaufen? Und meinen Sie nicht, dass sich Zeitungen und v. a. Boulevardblätter, die anderswo unverständlicherweise Regenbogenpresse genannt werden, sofort auf dieses gefundene Fressen stürzen würden? Ja… wir hören? Sie wissen es nicht? Wir schon: keine! Es ist nachweislich in Deutschland nicht ein einziger Mensch transitioniert, nur um die Frauensauna aufsuchen oder eine Frauenquote ausnutzen zu können.
Auch Transgender Europe, der europäische Dachverband von Trans*-Organisationen, hat bei einer Umfrage für kein europäisches Land irgendeinen Missbrauch der geltenden Bestimmungen feststellen können, die Vornamens- und Personenstandsänderungen für trans* Menschen regeln. Auch nicht von solchen Bestimmungen, die den sehr zu befürwortenden Gesetzentwürfen der Grünen und der FDP ähneln und trans* Menschen endlich größtmögliche geschlechtliche Selbstbestimmung einräumen. Selbst die Forschung ist sich einig, dass sogenannte „Rückumwandlungsbegehren“ bei trans* Menschen absolute Einzelfälle sind – auch wenn über die dann gerne sehr medienwirksam berichtet wird. Sie sind noch nicht einmal zahlreich genug, um in klinischen Statistiken aufzutauchen. Diese Menschen aber sind nicht aus Jux und Tollerei den langen Weg über die Instanzen gegangen – und dann wieder zurück –, sondern, weil sie festgestellt haben, dass ihr Leben in der anderen Geschlechtsrolle nicht lebbar war. Manche aus permanenter Diskriminierungserfahrung (z. B. weil kein Passing erreicht wird) und der daraus resultierenden starken psychischen Belastung. Andere haben erkannt, dass sich ihre Geschlechtsidentität dann doch nicht wie erhofft verfestigt hat. Geschlechtsidentitätsfragen sind ja wirklich auch keine einfachen Fragen an einen selbst. Und genau für diese sehr wenigen Menschen ist es dann sehr wichtig, dass sie in ihrem Pass schnell und unkompliziert wieder das bei Geburt zugewiesene Geschlecht eintragen lassen können.
Im Übrigen, Frau Aly, wird es Sie erschüttern zu erfahren, dass Sie sich auch jetzt schon „ohne jeden operativen oder hormonellen Eingriff“ als Frau „Gottfreda Maria Aly“ eintragen lassen können (obwohl wir mit Verlaub zu einem schöneren Namen raten würden, wenn frau schon mal die Wahl hat – aber gut, ganz nach Selbstbestimmungsgrundsatz müssen Sie das im Endeffekt wissen). Der im Transsexuellengesetz festgeschriebene Zwang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen und Sterilisation (sic!) wurde nämlich vom Bundesverfassungsgericht 2011 endlich als das weggeurteilt, was er schon seit Inkrafttreten des Gesetzes 1981 war: grundgesetzwidrig und eine Menschenrechtsverletzung! Allerdings können Sie, liebe Frau Aly, es nicht einfach unkompliziert qua Selbsterklärung beim Standesamt machen, sondern Sie müssen sich einem langwierigen Gerichtsverfahren beim Amtsgericht und zwei entmündigenden Begutachtungen stellen. Dieses ungebührliche Begehren ist zudem gebührenbehaftet: Die Kosten dafür, im Schnitt 1.800 EUR, müssten Sie natürlich selbst berappen.
Ist Ihnen zu kompliziert, zu fremdbestimmt, zu teuer, Frau Aly? Kein Problem: Dann unterstützen Sie entweder die grün-gelben Gesetzentwürfe – wie nahezu die gesamte Trans*-Community –, oder Sie überlegen sich Ihren Transitionswunsch nochmal neu. Dann ginge es Ihnen auch nicht anders als anderen trans* Menschen, die bisher auf ihre rechtliche Vornamens- bzw. Personenstandsänderung verzichten, weil ihnen das Transsexuellengesetz noch immer zu diskriminierend ist und sie ihr Persönlichkeitsrecht auf geschlechtliche Selbstbestimmung nicht an den Garderoben von Amtsgerichten und Gutachter*innen abgeben möchten.
Wir hätten dann im Übrigen auch kein Problem damit, Sie wieder als Herr Aly anzureden, wenn das Ihrer Geschlechtsidentität (wieder/besser) entspricht. Oder als irgendwie zwischengeschlechtlich und nicht-binär (ist übrigens auch naturwissenschaftlich erwiesen, dass XX- und XY-Chromosomen nicht automatisch Mann und Frau ergeben). Bricht uns keinen Zacken aus der Krone, kostet uns keinen Cent. So flexibel sind wir. Nur lassen ältere, weiße, rechts-konservative, cis*-männliche Kolumnisten diese kognitive Plastizität anscheinend missen. Und Blätter wie die Berliner Zeitung, die ihnen einen Raum für ihre feucht-heißen Cis*-Mann-in-Frauen-Sauna-Träume geben, laufen Gefahr zur BZ und damit zur Regenbogenpresse – im negativen Sinn – zu verkommen.
Ihre („neuheidnische Religion“sgemeinschaft) TransInterQueer e. V.
PS: Das bringt uns auf eine Idee: Wir sollten uns als Religion eintragen lassen, dann hätten wir analog zu den christlichen Kirchen endlich Mitspracherecht zumindest bei den öffentlich-rechtlichen Medien – danke für diese Anregung!
TrIQ_2021_BerlZtg auch als PDF.