TrIQ und die Entspychopathologisierung von Trans*

Geschlechtsdysphorisch? Geschlechtsinkongruent? Warten auf die Entpsychopathologisierung von Trans* im ICD-11 und was das DSM-5 damit zu tun hat“

Seit 2012 gibt es wieder eine medizinische Kommission, die sich zur Überarbeitung der Leitlinien zur Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen (Becker et al. 1997) zusammen gefunden hat. Nachdem sich TrIQ im August 2012 bei der Kommission zu Wort gemeldet und den Einbezug von Trans*, also die partizipative, betroffenenkontrollierte Erstellung neuer Leitlinien gefordert hatte, hat sich einiges getan: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wurden zwei Trans*-Personen aufgrund ihrer Qualifikationen in die Kommission aufgenommen und eine bundesweite Anhörung von Trans*-Verbänden organisiert. Zwar ist auch dieses Vorgehen von sogenannten betroffenenkontrollierten Ansätzen und wirklicher Mitbestimmung noch weit entfernt, aber bereits ein großer Unterschied zur früheren hermetischen Abschottung der Medizin von Trans*. Auch wenn wir vielen Kommissionsmitgliedern, insbesondere denjenigen, die sich von ihrer pathologisierenden Forschung bisher nicht distanziert haben, misstrauen, sind dies erste, hoffnungsvolle Anfänge und wir sind gespannt auf die Ergebnisse. Welcher Veränderungsbedarf bereits in der medizinischen Fachwelt diskutiert wird, zeigen diese Artikel von Garcia et al. 2014 und Nieder et al. 2013. Welcher Perspektivenwechsel in der Leitlinienentwicklung aus Trans*-Perspektive dringend nötig ist, zeigt dieser Artikel von Hamm/Sauer 2014.

Aber damit noch nicht genug, aktuell wird nicht nur an Behandlungsstandards, sondern an den diagnostischen Grundlagen gebastelt. Seit Mai 2013 gibt es das neue DSM-5 der American Psychiatric Association (APA). Parallel arbeitet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) an einer grundlegenden 11. Revision des ICD-10. Das ICD-11 soll 2017 herauskommen. Wir wollen Euch über diese wichtigen Prozesse informieren, damit Ihr Euch selbst Eure Meinung bilden und Euch einmischen könnt:

Die Präsentation von Arn Sauer setzt sich mit den angedachten und bereits umgesetzten Neuerungen in den medizinischen Klassifikationssystemen DSM und ICD in Bezug auf Trans* auseinander. Die im neuen DSM-5 enthaltenen diagnostischen Kriterien für „Geschlechtsdysphorie“ werden denen des aktuell bei der WHO diskutierten ICD-11 für „Geschlechtsinkongruenz“ gegenübergestellt. Beide Klassifikationssysteme wollen die Diagnose „Geschlechtsidentitätsstörung/Transsexualität“ abschaffen und weniger (im DSM-5) bzw. nicht mehr (im ICD-11 Entwurf) pathologisieren. Der Autor zeigt den aktuellen Diskussionsstand der WHO Beratung zum ICD-11 und die bereits eingereichten europäischen Trans-Positionen dazu auf.

Und was könnt Ihr tun?

  • Fordert von Eure Ärzt_innen aktiv ein, das DMS-5 zu verwenden, wenn Ihr eine Diagnose für medizinische Leistungen braucht – das ist erlaubt, weil es den „aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft“ widerspiegelt und das ICD-10 demgegenüber veraltet ist. Im DSM-5 ist die Psychopathologierung zwar weitergeführt (und nach wie vor ablehnenswert), aber die Kriterien sind inklusiver und erfüllen die Lebensrealitäten und Bedürfnisse einer Vielfalt von Trans* wesentlich besser. Das DSM-5 hat außerdem einen sogenannten „Exit Clause“, d.h. nach Abschluss der Transition und Ende des Leidensdruckes (der nach wie vor leider diagnoserelevant erforderlich ist), ist die Diagnose „Geschlechtsdysphorie“ wieder aufgehoben (im Gegenteil zur aktuellen Situation, in der alle mit der Diagnose „Geschlechtsidentitätsstörung“ belegten Trans* dauerhaft/ein Leben lang psychopathologisiert sind). Für die Kostenübernahme bei Krankenkassen können Eure Ärzt_innen (und müssen sogar) weiterhin den ICD-10 Diagnoseschlüssel für Geschlechtsidentitätsstörung/Transsexualität (F.64) verwenden, allerdings können dafür die diagnostischen Kriterien des DSM-5 zugrunde gelegt werden.

  • Mischt Euch in die WHO-Beratungen zum ICD-11 ein und setzt Euch weiterhin für die vollständige Entpsychopathologisierung von Trans* ein:  ICD-11 Browser (http://apps.who.int/classifications/icd11/browse/l-m/en); Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information: https://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-who/historie/icd-11.htm oder schreibt eine E-Mail: icd [at] who.int. Die WHO bittet um Kommentare und Vorschläge zum ICD-11 und hat dazu auf ihrer Website eine Onlinefassung „ICD-11 Beta Draft“ veröffentlicht, die täglich aktualisiert wird. Auch wenn die WHO im Augenblick zu einem nicht-pathologisierenden Extrakapitel für Trans* tendiert, der Kampf ist noch nicht ganz gewonnen, es gibt weiterhin viele Gegner_innen und jede Stimme/Unterstützung ist weiterhin wichtig. Allerdings werden nur Peer-Review Eingaben (also wenn andere wohl Fachpersonen, Eure Eingaben auch sinnvoll finden) berücksichtigt.

  • Beteiligt Euch an der Stop Pathologisation Kampagne – sie wird international weitergeführt. Der Kampagnen-Slogan für das Jahr 2014 lautet: „Stoppt die Pathologisierung von Trans – Stoppt die Pathologisierung von geschlechtlicher Vielfalt im Kindesalter – für die Vielfalt von Geschlechtsausdrücken und –identitäten!“

TransInterQueer e.V., 2014