PRESSEERKLÄRUNG, 13.9.2013

Stop mit „Väterin“, „Mama-Mann“, „Gebärvater“ in den Medien – Keine Berichterstattung ohne Einwilligung des trans* Vaters

Seit Erscheinen des Artikels „Der Gebärvater“ im Spiegel vom 9.9. (37/2013, S. 60/61) beobachten wir besorgt die mediale Berichterstattung zum Fall eines transgeschlechtlichen Vaters aus Berlin, der in diesem Jahr einen Sohn zur Welt gebracht hat. Zahlreiche deutsche wie internationale Medien (u. a. The Sun, Daily Mail, Le Monde, Huffington Post) haben über den Fall berichtet.

Der Mann ist nie an die Medien herangetreten und war dennoch über Tage einer Verfolgung v. a. durch Bild und B.Z. ausgesetzt. In Abstimmung mit der Berliner Anwältin Inken Stern, die ihn vertritt, möchten wir Ihnen folgende Informationen geben:
Aus Gründen des Kindeswohls und des Schutzes der Persönlichkeitsrechte hatte (und hat) der betreffende Vater zu keinem Zeitpunkt das Interesse oder den Wunsch, von den Medien verfolgt zu werden bzw. seine Geschichte veröffentlicht zu wissen.
Durch eine undichte Stelle in einer Berliner Behörde wurde Der Spiegel auf den Fall aufmerksam, auch Auszüge aus der Korrespondenz zwischen Berliner Behörden wurden in Medien abgedruckt. Ohne Anlass veröffentlichten Bild und B.Z. am 10.9. „Details” zur Person aus zweiter Hand – einzig motiviert durch den scheinbaren Coup, den Vater zu enttarnen. Auch Schlagzeilen wie „Wollte der Trans-Vater erst mit Lesben üben?“ (Bild, Berlin, 11.9., S.9) und „Wer hilft mir bei der Geburt?“ (B.Z., 11.9., S.6) und die Vergabe eines „Alibi”-Vornamens waren überflüssige Bestandteile einer medialen Hetzjagd. Außerdem wurden ihm Aussagen in den Mund gelegt (z.B. „Ich will keine Mutter sein“, B.Z., 10.9., S.1), die niemals geäußert worden waren.
Durch den Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011¹ , der trans* Menschen von einer Sterilisation als Voraussetzung für die rechtliche Änderung ihres Personenstandes befreite, hat sich eine Gesetzeslücke aufgetan, die trans* Eltern nicht angelastet werden kann. Gebärende Männer verlangen zu Recht, als Vater in der Geburtsurkunde eingetragen zu werden – was noch nicht geregelt ist. Die Schwangerschaft eines Mannes ist weder Skandal noch Sensation. Skandal ist, dass z. Zt. jeder Mann als Vater des Kindes in die Geburtsurkunde eingetragen werden könnte, auch jeder trans* Mann mit Personenstandsänderung – außer der Mann, der das Kind geboren hat.
Der unhaltbaren Spekulation, „[m]öglicherweise sei der Junge in Wahrheit ein Mädchen”, stehen jährlich mehr als 10.000 außerklinische Geburten in Deutschland gegenüber (Quelle: Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e. V.). Ausgerechnet in diesem Fall die Angaben zum Geschlecht des Kindes anzuzweifeln, ist transphobe Pathologisierung und ignoriert, dass bei Hausgeburten dieselben Pflichten zur Dokumentation des Geschlechts gelten wie bei Klinikgeburten.
Die Berichterstattung legt außerdem Verstöße gegen den Pressekodex nahe: z. B. Verstoß gegen die Sorgfalt (Ziffer 2, u. a. „Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.“), Verstoß gegen den Schutz der Persönlichkeit (Ziffer 8, u. a. „bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung“).
Auch Transgender Europe (TGEU), europäisches Menschenrechtsnetzwerk, kritisiert das Versagen der Behörden und Politik. Richard Köhler, Politischer Referent bei TGEU: „Die Indiskretion aus dem Behördenumfeld heraus kann zu einer erheblichen Gefährdung für Vater und Kind werden. Noch viel mehr ist aber die Politik in der Pflicht, eine im Koalitionsvertrag versprochene Reform des Transsexuellengesetzes endlich auf den Weg zu bringen. Identität und Privatsphäre von trans* Menschen müssen endlich besser geschützt werden.“

Wir fordern Journalist_innen und Informationsträger_innen auf:

  • dem Schutz und Wohl des Kindes Vorrang vor Schlagzeilen zu geben;
  • die Privatsphäre der Familie zu respektieren;
  • die Identität des Mannes nicht gegen seinen Willen zu veröffentlichen und gemäß der journalistischen Sorgfaltspflicht auf Details und Mutmaßungen über sein Privatleben zu verzichten;
  • Transgeschlechtlichkeit und trans* Menschen nicht für Sensationsberichterstattung zu missbrauchen;
  • transphobe Praktiken in z. B. Behörden zu erkennen und zu benennen und über trans* relevante Themen mittels der Expertise von trans* Expert_innen in den betreffenden Fachgebieten zu berichten;
  • die Broschüre „Trans* in den Medien – Informationen für Journalist_innen” zur Vorbereitung der Berichterstattung zu trans* Themen zu nutzen, hier zum Herunterladen:

„Trans* in den Medien – Informationen für Journalist_innen”
Für Fragen stehen wir Ihnen unter presse@transinterqueer.org zur Verfügung.
L.Y. Wild und J.C. Robinet
 
¹ http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20110111_1bvr329507.html