Pressemitteilung: Med. Leitlinien zur Behandlung von trans* Kindern und Jugendlichen ohne Betroffenenbeteiligung überarbeitet

Medizinische Expert_innen wissen es wieder mal besser für/als trans* Kinder und Jugendliche!

Medizinische Fachgesellschaften erstellen neue Leitlinien zu „Störungen der Geschlechtsidentität im Kindes‐ und Jugendalter” für Trans* ohne Selbstorganisationen zu beteiligen

Dr. med. Bernd Meyenburg (Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes‐ und Jugendalters, J. W. Goethe‐Universität Frankfurt) hat gegenüber TransInterQueer (TrIQ) e.V. am 03.03.2013 bekannt gegeben, dass neue psychiatrische Leitlinien zur Behandlung von trans* Kindern und Jugendlichen erstellt worden seien. Ohne Beteiligung von trans* Selbst‐ oder Elternorganisationen!
Dabei hatte sich TrIQ bereits im August 2012 in Person des Anmelders des Verfahrens Dr. Meyenburg an das rein medizinische „Expert_innen“‐ Gremium1 gewandt, und seitdem wiederholt den Einbezug der sog. „Betroffenen“ sowie ihrer Selbstorganisationen gefordert.  Trotzdem wurden TrIQ gegenüber weder der Grund für die Anmeldung als nicht‐partizipatorisch zu erstellende Leitlinien (S1) noch aktuelle Diskussionstände kommuniziert. TrIQ erhielt keine Möglichkeit zur Beteiligung.
TrIQ wurde stattdessen auf einen nachfolgenden wiederholten Überarbeitungsprozess verwiesen, bei dem dann die geforderte „Betroffenenperspektive“ einbezogen werden solle. Der Beginn, die Dauer und die Gestaltung des zukünftig geplanten Partizipativverfahrens blieben trotz mehrfacher Nachfrage unbeantwortet und sind unbekannt.
Aus unserer Sicht ist es nicht ausreichend, medizinethisch problematisch und patient_innenrechtlich sowie demokratietheoretisch nicht vertretbar, medizinische Leitlinien ohne den Einbezug der betreffenden Patient_innengruppen und ihrer Selbstorganisationen (und im Falle von nicht geschäftsfähigen Personen wie Kindern und Jugendlichen ihrer Eltern) zu erstellen. Wer im Jahr 2012, das Jahr in dem die Gefahr der psychiatrischen Zwangseinweisung für das (trans*) Mädchen Alex durch die bundesdeutschen Medien geisterte, Leitlinien ohne sog. „Betroffenenbeteiligung“ vorsieht, hat den Auftrag verfehlt, zum Wohle der „Betroffenen“ zu handeln. Andernorts werden Patient_innenrechte und ‐beteiligung GROSS, bei Trans* in der Medizin jedoch klein geschrieben.
Für TrIQ steht fest, dass es selbsternannte sog. medizinische „Expert_innen“ wieder mal besser wissen als die betreffenden Kinder, ihre Eltern und die zahlreichen trans* Erwachsenen, die sich mittlerweile zu einer Bewegung formiert haben. Aber eine solche Bewegung wird das nicht länger hinnehmen! Weder solch undemokratische, protektionistische Verfahren, noch ggf. Ergebnisse, die trans* Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung behindern, statt sie zu unterstützen – und weiter psycho‐pathologisieren (wie bereits im Anmeldetitel enthalten). In Unkenntnis der neuen (noch nicht veröffentlichten) Leitlinien stellt TrIQ daher jetzt schon deren Betroffenenorientiertheit, Nützlichkeit und Akzeptanz in Frage.
Weder trans* Kinder oder Jugendliche noch Erwachsene sind psychisch krank – sie haben lediglich besondere Gesundheitsbedarfe. Wir fordern eine gleichberechtigte Einbeziehung auf Augenhöhe und von Anfang an in der Erstellung aller medizinischer Leitlinien für trans* Personen im Sinne unserer Gesundheit und Selbstbestimmung2. Die Medizin muss sich endlich auf den Dialog einlassen, denn nur wir wissen selbst am besten wer wir sind und müssen entscheiden dürfen, was mit uns passiert!
Berlin, 19. März 2013 TransInterQueer e.V.
1Die Leitlinien wurden erstellt von der Deutschen Gesellschaft für Kinder‐ und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) und der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS) unter Beteiligung der Deutsche Gesellschaft für Kinder‐ und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) und des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am UKE Hamburg.
2Die „Betroffenen“‐Initiative des AK TSG‐Reform zur Reform des Transsexuellenrechtes und Selbstbestimmung von Trans* kann nach wie vor unterstützt werden: www.tsgreform.de!
 

Hintergrundinformation:

Die Überarbeitung von kinder‐ und jugendpsychiatrischen Leitlinien zu Geschlechtsidentität wurde registriert unter: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/028‐014.html (angemeldet als “Störungen der Geschlechtsidentität im Kindes‐ und Jugendalter”, Registernummer 028 – 01, Klassifikation S1).
„Die 1980 erstmals im DSM‐III eingeführte Diagnose “Gender Identity Disorder in Children” wurde später in DSM und ICD zur “Geschlechtsidentitätsstörung des Kindes‐ und Jugendalters”. Die Diagnostik und Behandlung normabweichender geschlechtsspezifischer Verhaltens‐ und Identifikationsweisen bei Kindern und Jugendlichen ist umstritten: Kritisiert werden insbesondere diagnostische Kriterien auf der Basis heteronormativer Rollenbilder (Vanderburgh 2009; Bartlett et al. 2000) sowie die Pathologisierung und Stigmatisierung von Kindern und Jugendlichen mit nonkonformen Ausdrucksweisen von Geschlecht und normalisierende Behandlungsmethoden (WPATH 2011; Burke 1996). Dabei ist zu beachten, dass bislang die Diagnose einer “Geschlechtsidentitätsstörung” bei Kindern allein aufgrund normabweichenden Rollenverhaltens gestellt werden kann, ohne dass das betreffende Kind eine ‚gegengeschlechtliche’ Identifikation zum Ausdruck bringt. […] Ähnlich der Diskussion um die Entpathologisierung von Transgeschlechtlichkeit bei Erwachsenen plädieren Trans*Expert_innen für die Entpathologisierung von gender‐nonkonformen Kindern und Jugendlichen bei gleichzeitiger Verbesserung des Zugangs zu medizinischen Mitteln der der hormonellen Verzögerung der Pubertät und ggf. der Körperveränderung für Trans*Jugendlichen (GIRES 2008; Vanderburgh 2009).“ (zitiert aus: Franzen & Sauer 2010, S. 15).
 
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