Die erste Kartierung der rechtlichen und medizinischen Versorgungssituation von Trans*-Menschen in 58 Ländern

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Transgender Europe: Presseerklärung – 23. Dezember 2011
Jetzt online: Die erste Kartierung der rechtlichen und medizinischen Versorgungssituation von Trans*-Menschen in 58 Ländern
Die Rechts- und Gesundheits-Kartierung wurde von Transgender Europes Forschungprojekt Transrespect versus Transphobia Worldwide (TvT) in enger Zusammenarbeit mit Experten und Aktivisten aus sämtlichen Weltregionen umgesetzt. Ein umfassender Fragebogen, der vom Forschungsteam des TvT-Projekts entwickelt und von mehr als 15 Forscher_innen und Aktivist_innen aus allen sechs Weltregionen geprüft wurde, wurde an über 70 internationale Aktivist_innen und Expert_innen verteilt. Diese antworteten mit detaillierten Informationen, Kommentaren und Erklärungen zur spezifischen Situation im jeweiligen Land.
Die Kartierung besteht aus einer Reihe von Tabellen:
1. Rechtliche Anerkennung des Geschlechts: Vornamens- und Personenstandsänderung
Die TvT-Tabellen bieten detaillierte Informationen über rechtliche Schritte, die Trans*- Menschen eine rechtliche Vornamens- und Personenstandsänderung garantieren. Sie listen Voraussetzungen wie ‘psychiatrische Diagnose’, ‘geschlechtsangleichende Operation’ oder ‘Sterilisation’. Bedauerlicherweise zeigt die Kartierung, dass alle gelisteten Länder, in welchen eine legale Personenstandsänderung möglich ist, eine ‘psychiatrische Diagnose’, d. h. eine Pathologisierung des betroffenen Trans*-Menschen, für die Personenstandsänderung fordern. Zudem sehen die meisten rechtlichen Schritte die ‘geschlechtsangleichende Operation’ bzw. ‘Sterilisation’ als Voraussetzung für die rechtliche Anerkennung des Geschlechts, was ganz klar gegen Menschenrechte verstößt. Die TvT-Tabellen zeigen auch die tatsächliche Rechtssituation, d. h. wie die rechtliche Vornamens- und Personenstandsänderung in den erfassten Ländern praktisch durchgeführt wird. In einigen Ländern mit bestehenden rechtlichen Maßnahmen werden die Anträge von Trans*-Menschen für Monate oder Jahre unberücksichtigt gelassen, wohingegen Trans*- Menschen in einigen Ländern, in denen keine dahingehenden rechtlichen Maßnahmen existieren, andere Wege finden, um z. B. rechtlich ihren Vornamen zu ändern. Die TvTKartierung führt darüber hinaus bestehende Vorschläge bezüglich der rechtlichen Vornamensund Personenstandsänderung detailliert auf. Dies kann sowohl als Erfassung der bestehenden rechtlichen Maßnahmen und Situation dienen und gleichsam auch als Indikator für bestehenden Trans*-Aktivismus.
2. Antidiskriminierung, Hassverbrechen und Asylgesetze
Die TvT-Tabellen bieten detaillierte Informationen über die Berücksichtigung von Transidentität / geschlechtlicher Identität in Antidiskriminierungs- und Hassverbrechengesetzen und auch in der Verfassung. Sie bieten auch Informationen über die Berücksichtigung von Trans*-Menschen in den Asylrichtlinien. Die Kartierung deutet darauf hin, dass ‘geschlechtliche Identität’ nur sehr selten als Diskriminierungsgrund anerkannt wird. Sie zeigen auch die Rechtssituation, d. h. die tatsächlichen Verfahren hinsichtlich dieser rechtlichen Maßnahmen und Richtlinien sowie Vorschläge, welche die bestehenden Maßnahmen angreifen. Diese Vorschläge verlangen oft die ausdrückliche Miteinbeziehung von ‘geschlechtlicher Identität’ in die bestehenden rechtlichen Schritte.
3. Kriminalisierung, Verfolgung und staatlich unterstützte Diskriminierung
Die TvT-Tabellen zeigen detaillierte Informationen über die rechtlichen Maßnahmen, die Trans*-Menschen und trans*-bezogene Thematiken wie ‘so genanntes Crossdressing’ und ‘geschlechtsangleichende Operationen’ unter Strafe stellen. In einigen Ländern im globalen Süden und Osten wurden solche Gesetze von Kolonial-Mächten und Missionaren eingeführt und werden heute nicht mehr beachtet. Zum Beispiel sind Trans*-Menschen in einigen Ländern, in denen das ‘so genannte Crossdressing’ illegal ist, sehr sichtbar und werden in Kultur und Gesellschaft anerkannt und nicht verfolgt. Es gibt jedoch auch andere Länder, wo zwar keine Kriminalisierung besteht, Trans*-Menschen aber trotzdem über andere Gesetze verfolgt werden, welche speziell gegen Trans*-Menschen eingesetzt werden, z. B. Gesetze gegen Prostitution, Herumlungern oder Belästigung. Die TvT-Tabellen sind auf eine Art und Weise gestaltet, dass sie diese wesentlichen Unterschiede zwischen legaler Kriminalisierung und tatsächlicher Verfolgung von Trans*-Menschen widerspiegeln. Somit möchten sie ein umfassendes Verständnis der rechtlichen Situation jenseits der bloßen Existenz rechtlicher Maßnahmen ermöglichen.
4. Trans*-spezifische Gesundheitsversorgung: Hormonersatztherapie, Hormone & geschlechtsangleichende Behandlungen und körperliche Modifikationen
Die TvT-Forschung hat nicht nur die rechtliche Situation von Trans*-Menschen beleuchtet, sondern auch wichtige Aspekte ihrer gesellschaftlichen Situation. Die TvT-Tabellen bieten einen ersten Einblick in die medizinische Versorgungssituation von Trans*-Menschen und konzentrieren sich auf trans*-spezifische Hormonersatztherapie und Hormone sowie geschlechtsangleichende Behandlungen und körperliche Modifikationen. Sie zeigen vielfältige Aspekte bezüglich medizinisch begleiteter Hormonersatztherapie und geschlechtsangleichender Behandlungen einschließlich Vorbedingungen wie ‘psychiatrische Diagnose’ und mögliche Finanzierungsquellen.
Zudem listen die Tabellen die Existenz alternativer Praktiken wie z. B. dem Hormonerwerb auf dem Schwarzmarkt ohne medizinische Begleitung oder dem Einsatz industriellen Silikons ohne medizinische Begleitung. Diese ‘Alternativen’ gibt es in Ländern ohne jedwede trans*- spezifische Gesundheitsversorgung sowie auch in Fällen, wo Trans*-Menschen nicht die Vorbedingungen für eine medizinisch begleitete Behandlung erfüllen. Dies kann zu ernsten Gesundheitsproblemen und in manchen Fällen sogar zum Tod führen.
Ein Merkmal der Rechts- und Gesundheitskartierung von Transgender Europe ist somit, dass sie einen schnellen Überblick über bestehende Gesetze ermöglicht und gleichzeitig die tatsächlichen Praktiken detailliert und komplex darstellen kann. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind 58 Länder in den folgenden Regionen Teil der Liste: Afrika (9 Länder), Asien (13 Länder), Europa (18 Länder), Mittel- und Südamerika (9 Länder) und Ozeanien (9 Länder). Für Indien besteht ein separater Tabellensatz, welcher die Situation in den einzelnen Bundesstaaten abbildet. Im Laufe der Zeit werden weitere Länder hinzukommen, einschließlich eines separaten Tabellensatzes für die acht australischen Bundesstaaten und Brasilien. Die TvT-Kartierung ist so entworfen, dass sie regelmäßige Updates und Erweiterungen ermöglicht, weshalb jede Information und Evaluierung der vorliegenden Tabellen sehr willkommen ist, analysiert und in regelmäßigen Updates berücksichtigt werden wird. Im Laufe des Jahres 2012 werden wir in ausgewählten Länderabschnitten der TvT-Website Schritt für Schritt umfassendere Informationen liefern, z. B. Kontextinformation, Referenzen, Gesetzestexte usw. Dort werden die vielen Aktivist_innen und Forscher_innen, die zur TvT-Kartierung beigetragen haben, namentlich genannt werden.
Transgender Europes Rechts- und Gesundheits-Kartierung kann auf der Website des TvT-Projekts abgerufen werden:
http://www.transrespect-transphobia.org/en_US/mapping.htm
Neue Forschung: Im November 2011 begann das TvT-Forschungsteam zusammen mit sechs Partnerorganisationen aus Asien, Osteuropa, Ozeanien und Südamerika eine neue Umfrage in Form einer Peer-Forschung über die Erfahrungen von Trans*-Menschen mit Transrespekt und Transphobie.
Das TvT-Projekt wird finanziert von den Open Society Foundations, der ARCUSStiftung und in Teilen von der Heinrich-Boell-Stiftung.
Bei Fragen oder wenn Sie das Forschungsprojekt unterstützen möchten, treten Sie bitte mit dem TvT-Forschungsteam in Verbindung: Dr. Carsten Balzer und Dr. Jan Simon Hutta research[at]transrespect-transphobia.org
Oder besuchen Sie unsere Website: http://www.transrespect-transphobia.org
Übersetzung aus dem Englischen: Sandra-Isabell Trautner