Bundesverfassungsgericht kippt den Kastrations-Zwang im Transsexuellengesetz!
Pressemitteilung von TransInterQueer e.V. zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts (28.01.2011)
[direkt zur Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts]
Die Voraussetzungen der dauerhaften Unfruchtbarkeit sowie der geschlechtsangleichenden Operationen (Entfernung von Gebärmutter und Eierstöcken bzw. Hoden und Penis und Anlegen einer Neo-Vagina) stellten “eine massive Beeinträchtigung der von Art. 2 GG geschützten körperlichen Unversehrtheit dar”.
In seiner Entscheidung zum Transsexuellengesetz (TSG) vom 11. Januar 2011 (BvR 3295/07) hat das Bundesverfassungsgericht diese Voraussetzungen für die Personenstandsänderung im TSG als nicht verfassungskonform mit sofortiger Wirkung ausgesetzt.
Das Bundesverfassungsgericht ist sich mit dieser Auffassung einig mit dem Menschenrechtskommissar des Europarates Thomas Hammarberg. Dieser hatte schon 2009 die Voraussetzung der dauerhaften Unfruchtbarkeit als menschenrechtswidrig beurteilt.
TransInterQueer e.V. begrüßt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Nun ist es transgeschlechtlichen Menschen möglich den Personenstand zu bekommen, der ihrem Geschlecht entspricht, unabhängig davon, ob sie sich geschlechtsangleichenden Operationen unterziehen oder nicht.
Eine Reform des Transsexuellengesetzes im Parlament wurde in den letzten Jahren immer wieder auf die nächste Legislaturperiode verschoben. Dies zeigt einmal mehr, dass Politik für trans* Menschen in Deutschland leider nicht aus dem Bundestag kommt, sondern auf einem langen Klageweg in Karlsruhe erstritten werden muss.
Schon sechsmal hat das Bundesverfassungsgericht Teile des TSG außer Kraft gesetzt. Das letzte Mal 2009. Seitdem ist eine Ehescheidung nicht mehr Voraussetzung zur Personenstandsänderung. Zu einer grundlegenden Gesetzesreform im Parlament kam es bisher jedoch nie.
“Eine Reform des Transsexuellengesetzes ist damit mehr als überfällig” sagt Max Schultze Vorstandsmitglied von TransInterQueer e.V. und weiter: „Wir hoffen, dass der Bundestag nun dem Reformvorschlag der Grünen zustimmt. Mit ihrem Vorschlag würde das ganze Verfahren verschlankt, verkürzt und entbürokratisiert.“
Der grüne Gesetzesvorschlag folgt in wesentlichen Punkten den Vorschlägen von TransInterQueer e.V. und dem Transgendernetzwerk Berlin. Diese Vorschläge werden deutschlandweit von einer breiten Koalition von trans* Selbstorganisationen und -verbänden sowie Einzelpersonen unterstützt.
“Es ist bedauerlich, dass die Betroffenen so lange auf eine solche Regelung warten mussten. Neben dem Sterilitäts- und OP-Zwang ist im TSG auch ein langwieriges und teures Begutachtungsverfahren vorgesehen, das trans* Menschen unnötig lange in einem diskriminierungsanfälligen Zwischenstadium hält. So ist es ihnen ohne entsprechende Ausweispapiere z.B. fast unmöglich Arbeit zu finden. Eine Reform sollte sich nicht nur an menschenrechtlichen, sondern auch an sozialen Standards im Sinne der Betroffenen orientieren”, so Arn Sauer, Mitautor der von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Auftrag gegebene Studie “Diskriminierung von Trans*Personen insbesondere im Arbeitsleben”.
Auch TransInterQueer e.V. hat 2009 eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die begonnen hatte das TSG auf dem Klagewege zu ändern. Hierzu Wiebke Fuchs und Dan Christian Ghattas, Sprecher_innen der Strategischen-Klage Gruppe: ”Herzlichen Glückwunsch an die erfolgreiche Klägerin. Wir freuen uns sehr, dass diese Regelung früher als erwartet gekippt wurde. Das erspart unseren Kläger_innen den langen anstrengenden Weg durch die Instanzen. Alles erreicht ist damit allerdings noch nicht. Es gibt noch eine Reihe von dringlichen Problemen, die wir mit dem Mittel der strategischen Klage angehen wollen.“